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Der anonyme Liebhaber

September 2022

St.Gallen

Das Theater St.Gallen führt als erstes europäisches Opernhaus seit über 200 Jahren den «anonymen Liebhaber» von Joseph Bologne auf. Bis im Dezember verbreitet das Ensemble damit eine politische Botschaft, die zeitlos relevant bleibt.

Von Pascal Moser

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Mit der Black Lives Matter Bewegung wird der Rufspruch «Say Their Names» zum Sprichwort. Das Theater St.Gallen übernimmt politische Verantwortung und den Leitspruch der Bewegung. Gemeint sind hier aber keine rassistischen Polizeimorde oder ähnliche Delikte, sondern eine spektakuläre und zum Nachdenken anregende Biografie; Die traurige, durch Rassismus lange unbekannte Geschichte von Joseph Bologne. Es ist eine Erinnerung an nur einen, der vielen schwarzen Künstler, deren Namen untergegangen sind.

Der amerikanische Präsident John Adams nannte ihn den versiertesten Europäer was allerlei Sportdisziplinen und die Musik anging. Joseph Bologne, der den Titel Chevalier de Saint-Georges verliehen bekam, galt als bester Fechter seiner Zeit und gelangte trotz seiner dunklen Hautfarbe zu weitläufigem Ruhm.

Geboren wurde er 1745 als Sohn einer Sklavin und eines Plantagenbesitzers. Das illegitime Kind wurde vom Vater nach Paris gebracht, bildete sich hier in einem Eliteinternat aus und feierte früh Erfolge, auch abseits der Musik. So besiegte er den erfolgreichen Fechter Alexandre Picard, nachdem dieser ihn rassistisch beleidigt hatte, vor einem Publikum aus Sklaverei-Befürwortern. Beschrieben als hübsch, erfolgreich und charmant, fand er schnell Zugang zur Pariser Elite, auch wenn er zeitlebens eine Kuriosität bleiben sollte. Der damalige Rassismus verunmöglichte ihm nicht nur den bleibenden Erfolg an einem grossen Opernhaus, sondern führte auch bald zu seinem Abstieg.

Er wurde nach der französischen Revolution ein Jahr unschuldig inhaftiert, kämpfte mit karibischen Sklaven gegen spanische Besatzer und entkam nur knapp seiner Hinrichtung. Mit 53 starb er unter hohem Fieber und verarmt. Danach wurde sein Werk vergessen.

Trotzdem hatte Bologne einen prägenden Einfluss auf die Komponisten seiner Zeit, beispielsweise auf den elf Jahre jüngeren Mozart, der jedoch eifersüchtig auf den Komponisten war. Heute wird Bologne oft als schwarzer Mozart bezeichnet, was viel wesentliches ausblendet. Nicht nur seine musikalische Eigenständigkeit geht bei diesem Beinamen unter, auch sein Name geht verloren. Deshalb lautet das Motto des Stücks auch: Say His Name.

Regisseur Femi Elufowoju jr. Verknüpft in seiner Inszenierung die Handlung des Stückes mit der Biographie Bolognes. Fast 250 Jahre nach der Uraufführung 1780 dient der anonyme Liebhaber nun der Bewegung gegen Rassendiskriminierung und befreit den Komponisten aus einer langen Vergessenheit. Hauptperson des Stücks trägt selbst den Namen Joseph Bologne und verliebt sich in seine beste Freundin, um die er vier Jahre lang als anonymer Liebhaber wirbt. Das Gesetz verbietet jedoch die Ehe für Schwarze.


Vor einem weissen Bühnenbild das selten wechselt, präsentieren die Darstellenden gesprochene Szenen, wie auch Balletteinlagen während zwei Stunden. Obwohl die Handlung leicht verdaulich ist, dürfte die St.Galler Version der fröhlichen Liebesgeschichte lange im Gedächtnis bleiben, denn sie strotzt vor aktuellen politischen Themen. Die Handlung wird deshalb immer wieder von Weckrufen unterbrochen, die Musik verstummt, Darstellende frieren ein und das Licht geht aus. Eine Stimme erläutert die politischen und autobiographischen Aspekte, wie auch die aktuelle Bedeutung der Thematik. Das Stück endet mit einem Appell: Say His Name: Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges, oder der anonyme Liebhaber.

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